Interview - Meinungsbarometer

Wie Wasserstoff das bestehende Süd-Nord-Gefälle verändern könnte


"Wasserstoff kann als Game-Changer mit bedeutendem Einfluss auf unsere Mobilität, unsere Energieversorgung und die Industrie gesehen werden", sagt die IHK-Nord-Vorsitzende Janina Marahrens-Hashagen. Im Norden gibt es eine umfassende Wasserstoffstrategie, in die sich die IHK Nord intensiv eingebracht habe. Sie begrüßt auch die entsprechenden Bestrebungen des Bundes, plädiert aber für weitere regulatorische Anpassungen.
Mehrere Bundesländer im Norden haben eine gemeinsame Wasserstoff-Strategie auf den Weg gebracht. Welche Bedeutung kann Wasserstoff für die Nordländer in Zukunft haben?
Die fünf Bundesländer im Norden sind in Deutschland Vorreiter und haben sich Ende 2019 eine umfassende Wasserstoffstrategie gegeben, in deren Entwicklung wir uns als IHK Nord intensiv eingebracht haben. Wasserstoff kann als Game-Changer mit bedeutendem Einfluss auf unsere Mobilität, unsere Energieversorgung und die Industrie gesehen werden. Für Norddeutschland bieten sich in diesem Zusammenhang herausragende Chancen, da wir im Norden den Zugang zum Meer und damit zur Offshore-Windenergie haben. Der hier gewonnene Strom ist Grundlage für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Norddeutschland. Wir können diesen Vorteil nutzen, um das bestehende Süd-Nord-Gefälle bei vielen volkswirtschaftlichen Indikatoren auszugleichen oder sogar umzukehren. Wasserstoff hat das Potenzial, branchen- und sektorenübergreifend Wertschöpfung im Norden entstehen zu lassen. Uns bietet sich eine bedeutende wirtschafts- und strukturpolitische Chance, die wir mutig ergreifen müssen. Eine Energiewende in Deutschland wird ohne den Norden Deutschlands nicht gelingen!
Auf Bundesebene sollen Förder-Milliarden Deutschland zur führenden Wasserstoffnation machen. Wie bewerten Sie die nationale Wasserstoff-Strategie?
Die vorgelegte Strategie ist ein wichtiger Baustein für die Erreichung der Klimaziele und zum jetzigen Zeitpunkt ein richtiges Zeichen des Aufbruchs aus der Corona-Krise. Eine wesentliche Komponente der nationalen Strategie ist die angestrebte EEG-Umlagen-Befreiung der Wasserstoffproduktion auf Basis erneuerbarer Energien. Damit ist ein erster Schritt in Richtung Wirtschaftlichkeit des grünen Wasserstoffs getan. Hier hätten wir uns als norddeutsche IHKs durchaus noch eine zielstrebigere und mutigere Positionierung mit einer gesetzlichen Verankerung der Umlagenbefreiung gewünscht. Dennoch ist es wichtig, dass dieses Thema prominent festgeschrieben ist. Der regulatorische Rahmen für Power-to-X-Technologien sollte zeitnah angepasst werden, damit weitere Steuern, Abgaben und Umlagen beim Strompreis auf den Prüfstand kommen. Erst dann können sich neue Technologien im Bereich der notwendigen Sektorkopplung auf lange Sicht am Markt behaupten.
Insbesondere im Verkehrssektor könnte Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen - in welchem Verhältnis stehen Wasserstoff-Technologien in diesem Bereich zur batteriebasierten Elektromobilität?
Wasserstoff hat gegenüber der Batterie, insbesondere im Schwerlastverkehr, einen enormen Gewichtsvorteil. Würde man einen LKW mit Batterieantrieb ausstatten, so könnte er nahezu keine Zuladung mehr aufnehmen, da das zulässige Gewicht bereits durch die Batterie selbst erreicht werden würde. Auch die Reichweite ist im Vergleich zum Batterieantrieb deutlich größer. Die Anwenderfreundlichkeit ist ebenso hervorzuheben: der Tankvorgang unterscheidet sich kaum zur heutigen Tankfüllung mit Diesel oder Benzin. Allerdings geht es nicht um ein “Gegeneinander” der verschiedenen Antriebsformen – vielmehr sollte jede Antriebsform in den Bereichen eingesetzt werden, für die sie am besten geeignet ist. So eignet sich z.B. die Batterie für kurze Strecken mit dem Pkw, der Wasserstoffantrieb besonders für den Fern- und Schwerlastverkehr.
Bei der Erzeugung von Wasserstoff können auch fossile Rohstoffe zum Einsatz kommen – wie "sauber" ist Wasserstoff-Energie angesichts dessen?
Zu Beginn ist ein Rückgriff auf fossile Brennstoffe zur Produktion von blauem Wasserstoff je nach regionalen Voraussetzungen zum Teil unumgänglich – allein mit der Erzeugung von grünem Wasserstoff kann die geplante Hochskalierung der Produktion nicht erreicht werden. Langfristig müssen wir uns jedoch auf grünen Wasserstoff konzentrieren, um uns von fossilen Brennstoffen zu lösen und eine wirklich „grüne“ und emissionsfreie Produktion von Wasserstoff zu erreichen. Neben dem weiteren Ausbau erneuerbarer Erzeugungskapazitäten sollten bereits bestehende Infrastrukturen, z.B. Erdgas-Pipelines, genutzt werden. Mit einer starken Steigerung der Produktion von erneuerbarem Wasserstoff rückt Norddeutschland noch mehr in den Fokus, denn im Norden sind die Erneuerbaren Energien beheimatet und hier kann grüner Wasserstoff kostengünstig produziert werden.
Die Strategie der Bundesregierung setzt auch auf den Import von Wasserstoff, etwa aus afrikanischen Ländern. Wie bewerten Sie das?
Der ermittelte Bedarf an Wasserstoff in Norddeutschland, Deutschland und Europa ist sehr groß und kann auch bei einem schnellen Markthochlauf und einer angemessenen Skalierung nicht aus eigener (regionaler) Kraft gedeckt werden. Entsprechende Importe, unter anderem aus Afrika, werden daher notwendig sein. Diese können zudem dazu beitragen, wirtschaftliche Beziehungen mit dem afrikanischen Kontinent zu etablieren und so die Stabilisierung der Wirtschaftskraft Afrikas befördern. Nichtsdestotrotz gilt es, den Bedarf an Wasserstoff langfristig zu einem möglichst großen Teil aus eigener Kraft zu decken, auch um etwaige Abhängigkeiten von Drittstaaten zu vermindern.
Das Interview ist enstanden mit dem Fachdebattenportal Meinungsbarometer.