Positionspapier Offshore-Energie

Europäische Strategie für erneuerbare Offshore-Energie

Position zur europäischen Offshore-Strategie

Der von der Europäischen Kommission vorgelegte Europäische Green Deal enthält ambitionierte Klimaziele. Bis zum Jahr 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um mindestens 50 % gegenüber 1990 gesenkt werden, zugleich soll der Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen auf mindestens 32 % erhöht werden. Bis zum Jahr 2050 soll Klimaneutralität erreicht werden.[1] Um diese Ziele zu erreichen, wird dem Ausbau der erneuerbaren Offshore-Energie eine erhebliche Bedeutung zukommen.
Ein damit zu erreichendes nachhaltiges und klimafreundliches Wachstum ist gerade im Kontext der COVID-19 Krise von zentraler Bedeutung. Da Europa aktuell die Auswirkungen der Pandemie überwinden muss, darf es keinesfalls zu einer erheblichen Verzögerung der Investitionen in errneuerbare Offshore-Energie kommen. Jetzt ist die Zeit, um in nachhaltige und erneuerbare Energien zu investieren.
Nicht zuletzt stellt die deutliche Forcierung des EU-weiten Ausbaus der Offshore-Energie einen expliziten Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft dar, die im Juli 2020 begonnen hat und noch bis Ende des Jahres andauern wird. In dem Programm der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vom 30. Juni 2020 heißt es hierzu: „Dem zügigen Aus­bau von Offshore-Windenergie kommt eine Schlüsselrolle zu, um die ambitionierten Ziele der Europäischen Union im Bereich der Erneuerbaren Energien zu erreichen und Versor­gungssicherheit zu gewährleisten.“[2]
Die europäische Strategie für erneuerbare Offshore-Energie ist aus Sicht der norddeutschen Wirtschaft grundsätzlich zu begrüßen, da sie die richtigen Signale für den Ausbau der grünen Energie setzt. Zugleich muss sie sich an den Herausforderungen messen lassen, die der Ausbau der Offshore-Energie mit sich bringt. Grenzüberschreitende Offshore-Energieprojekte sind mit besonderen Anforderungen hinsichtlich Erzeugung, Verteilung und Nutzung konfrontiert. Um einen gesteigerten Offshore-Windkraftzubau zu erreichen, ist eine auch grenzüberschreitende zielgerichtete maritime Raum- und Flächenplanung von großer Bedeutung. Dadurch können die für die Erzeugung der Windenergie dringend notwendigen Flächen bereitgestellt und effektiv genutzt werden. Den norddeutschen Hafenstandorten kommt als „Basisstationen“ für die Errichtung der Offshore-Anlagen eine zentrale Rolle zu. Dies betrifft neben der Produktion, Verladung und Zwischenlagerung von Anlagenteilen auch deren Transport durch Spezialschiffe.
Die IHK Nord verdeutlicht mit diesem Papier ihre Position zur europäischen Strategie für erneuerbare Offshore-Energie und hebt dabei bedeutende Aspekte für Norddeutschland hervor.

Relevanz für Norddeutschland

Norddeutschland bietet mit seiner Lage an der Küste beste Bedingungen für den Ausbau der Offshore-Energie. In den Regionen der Hochseegewässer an der Nord- und Ostsee befindet sich der Großteil der Offshore-Projekte, entweder in der 12-Meilen-Zone oder in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ).
Offshore an der Nord- und Ostsee
Im Jahr 2019 waren in Norddeutschland insgesamt 1.469 Windkraftanlagen in 25 Offshore-Windparks an das Netz angeschlossen. Im Jahr 2020 hat sich mit der Fertigstellung des Windparks Albatros in der Nordsee die Anzahl der Windparks auf 26 erhöht.
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Ende 2019[3] betrug die installierte Leistung der deutschen Offshore-Windparks 7,516 GW. Davon entfielen 6,44 GW auf Windparks in der Nordsee und 1,076 GW auf Windparks in der Ostsee, womit die Nordsee die wichtigste Region der norddeutschen Offshore-Energiegewinnung darstellt. Insgesamt wurden im Jahr 2019 etwa 25,8 TWh Strom in deutschen Offshore-Windparks erzeugt, was einem Zuwachs von ca. 27 % im Vergleich zu 2018 entspricht.[4]
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Im Jahr 2019 wurden in Deutschland rund 160 Offshore-Windenergieanlagen mit einer Leistung von insgesamt 1,111 GW neu ans Netz angeschlossen. Im Vergleich zum Jahr 2018 entspricht dies einem Wachstum von etwa 14 %. Die Leistung der im Jahr 2019 in Betrieb genommenen einzelnen Anlagen liegt zwischen 6 MW bis 8,4 MW, woraus sich eine durchschnittliche Anlagenleistung von 6,9 MW ergibt. Hinsichtlich der Verteilung der Kapazität auf die Bundesländer, die anhand der Lage des Netzanschlusspunktes zugeordnet wird, ist mit 4,662 GW der Großteil der installierten Leistung in Niedersachsen verortet. In Schleswig-Holstein sind 1,778 GW angeschlossen und in Mecklenburg-Vorpommern rund 1,076 GW.[5]
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Mit seinen im Jahr 2019 insgesamt 25 Windparkanlagen ist Deutschland neben dem Vereinigten Königreich Spitzenreiter der europäischen Offshore-Windenergie. Im Vereinigten Königreich waren im Jahr 2019 insgesamt 34 Offshore-Windparks in Betrieb.[6]
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OFFSHORE KOOPERATIONSPROJEKT OSTSEE
Norddeutschland ist bereits heute in ein europäisches Offshore-Kooperationsprojekt eingebunden. Der Offshore-Windpark Baltic 2 in der Ostsee ist ca. 32 km von der Insel Rügen entfernt und liegt an der Grenze zur dänischen und zur schwedischen AWZ. Über einen Interkonnektor sind die Anlagen an die Stromnetze Deutschlands und Dänemarks angeschlossen; ein Anschluss an das schwedische Netz ist geplant. Der Windpark Baltic 2 umfasst knapp 80 Windenergieanlagen. Mit einem jährlichen Ertrag von rund 1,2 Milliarden kWh kann der Windpark EnBW Baltic 2 rund 340.000 Haushalte im Jahr versorgen. Damit können laut Betreiber EWE 900.000 Tonnen CO₂ eingespart werden.[7]
OFFSHORE AUSBAU UND AUSBAUZIELE
Mit den Ausschreibungen in den Jahren 2017 und 2018 wurden die Offshore-Windenergieprojekte bestimmt, die bis Ende 2025 in der deutschen Nord- und Ostsee realisiert werden sollen. Im Rahmen der Ausschreibungen wurden insgesamt 3,1 GW bezuschlagt, davon sollen 0,733 GW in der Ostsee und 2,367 GW in der Nordsee installiert werden – die Nordsee ist somit die größte Ausbauregion. Durch die insgesamt in Planung befindlichen Windparks ist eine Steigerung der installierten Leistung auf voraussichtlich 10,8 GW bis 2025 möglich.[8]
Mit der Fertigstellung der 32 Windkraftanlagen des Offshore-Windparks Trianel Borkum II im Mai 2020 und der Inbetriebnahme im Juli 2020 sind aktuell alle deutschen Offshore-Ausbauprojekte abgeschlossen. Dies hat zur Konsequenz, dass die aktuelle Ausbauphase der Offshore-Windenergie in Deutschland zunächst endet und mittelfristig keine signifikante Steigerung der Installationszahlen zu erwarten ist. Nach dem aktuellen Planungsstand kann die Inbetriebnahme in Planung befindlicher weiterer Offshore-Windparks frühestens im Jahr 2022 erwartet werden. Für den Windpark Kaskasi in der Nordsee ist der Baubeginn für Herbst 2021 geplant, eine Inbetriebnahme 2022.[9] In der Ostsee ist mit der Installation eines größeren Windparks nicht vor 2023 zu rechnen.
Dennoch hat Deutschland seine Ausbauziele erhöht. Im Mai 2020 wurde beschlossen, das Offshore-Ausbauziel in Deutschland für das Jahr 2030 von 15 GW auf 20 GW anzuheben. Zugleich wurde das Ausbauziel für das Jahr 2040 auf 40 GW angehoben. Um dieses erhöhte Ausbauziel auch rechtlich umzusetzen, hat das Bundeskabinett am 3. Juli 2020 die Änderung des Wind-auf-See Gesetzes beschlossen.[10]
Zur Umsetzung der Änderungen des Wind-auf-See Gesetzes und zur Umsetzung der Erhöhung der Ausbauziele hat das in Deutschland zuständige Bundesamt Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg am 19. Juni 2020 das Verfahren zur Fortschreibung und Änderung des Flächentwicklungsplans eröffnet und zeitgleich den Vorentwurf für den Flächenentwicklungsplan 2020 vorgelegt.[11]

Europäischer Kontext

Im Jahr 2019 wurden europaweit insgesamt 502 neue Windenergieanlagen in 10 Windparks neu in Betrieb genommen, was einem Zuwachs von 3,626 GW an Kapazität entspricht. Die gesamte europäische Offshore-Kapazität liegt aktuell bei ca. 22,072 GW, wobei die Windenergieanlagen auf insgesamt 12 europäische Länder verteilt sind.
Im Jahr 2019 wurden in vier europäischen Ländern (Frankreich, Niederlande, Vereinigtes Königreich, Norwegen) finale Investitionsentscheidungen für Windenergieanlagen getroffen, wobei bis zu 6 Billionen Euro investiert werden sollen. Mit diesen Investitionen kann die Kapazität um zusätzliche 1,4 GW hochgefahren werden.[12]
Nach dem im Juli 2020 vorgelegten Fahrplan der EU-KOM muss die Kapazität der Offshore-Energie bis zum Jahr 2050 jedoch auf 230 bis 450 GW hochgefahren werden, um die Ziele des Green Deals zu erreichen.[13] Dies bedeutet, dass eine Verzehnfachung der aktuell in europäischen Gewässern installierten 22 GW notwendig werden wird. Damit ist ein massiver Ausbau der Offshore-Energie verbunden; die jährliche Zuwachsrate der installierten Leistung von derzeit 3 GW muss in den kommenden Jahren beträchtlich erhöht werden. Die Erreichung der europäischen Ziele zur Versorgung mit Offshore-Energie ist daher notwendigerweise an deutlich höhere Ausbauziele in den einzelnen Mitgliedstaaten gekoppelt.
Derzeit werden auf Ebene der Nationalstaaten die maritimen Raumpläne bis zum Jahr 2030 erarbeitet, in denen darzulegen ist, welche Offshore-Windparks errichtet werden sollen. Bis März 2021 müssen die nationalen Pläne bei der EU-KOM eingehen. Diese wird die von den Nationalstaaten eingereichten Pläne als Grundlage zur Raumplanung und Kostenaufteilung zur Erreichung einer Steigerung der Kapazität auf 450 GW nutzen.
Im Rahmen des letzten Ministertreffens der Nordsee-Energiekooperation (NSEC) am 6. Juli 2020 unter deutschem Vorsitz haben die zuständigen europäischen Minister für Energie sowie die EU-Kommissarin für Energie, Kadri Simson, eine gemeinsame Erklärung abgegeben. Nach dieser sollen bestehende Hindernisse abgebaut werden, um die beschleunigte Umsetzung von multinationalen hybriden Offshore-Windenergieprojekten zu erleichtern. Vereinbart wurde zudem, eine verbesserte Koordinierung der Netzplanung auf See mit der Netzanbindung zu Land, sowie die Optimierung der gemeinsamen maritimen Raumplanung und das Vorantreiben gemeinsamer Bestrebungen zum Ausbau von Offshore-Windenergie in der Region.[14]

Norddeutsche Forderungen

Zum Erreichen der Klimaziele des Green Deals spielt der Ausbau der Offshore-Energie eine zentrale Schlüsselrolle: Es werden sog. Landverbräuche vermieden und die Kapazitäten erhöht. Damit bietet sich die Chance und Verpflichtung auch die Kapazitäten für Offshore-Energie in Norddeutschland bedeutend hochzufahren. Für die Norddeutsche Wirtschaft sind folgende Kernbotschaften in Bezug auf die EU-Offshore-Strategie von großer Bedeutung, um das sich bietende Potenzial für den Wirtschaftsstandort zukunftsgerichtet zu nutzen:
  • Europäische Ausbauziele 2030 und 2050 definieren
Die Klimaziele der EU-KOM – insbesondere die Klimaneutralität bis 2050 - sind nur dann erreichbar, wenn das europäische Potenzial zur Erzeugung von erneuerbarer Offshore-Energie in allen europäischen Küstenstaaten voll ausgeschöpft wird. Nach Schätzungen der EU-KOM muss die Kapazität der Offshore-Energie bis zum Jahr 2050 auf 230 bis 450 GW hochgefahren werden, was einer Verzehnfachung der aktuell in europäischen Gewässern installierten Leistung von 22 GW gleichkommt. Hierzu sollte die EU-KOM etappenweise Ausbauziele auf europäischer Ebene definieren und für die Jahre 2030 bis 2050 konkrete Ausbauziele benennen. Dabei ist die EU-KOM auf die Zuarbeit der Mitgliedstaaten angewiesen; notwendig ist eine realistische Bewertung der nationalen Offshore-Erzeugungskapazitäten. Die Mitgliedstaaten sind aufgerufen, ihre entsprechenden Kapazitäten im Rahmen ihrer aktuellen maritimen Raumplanung bis zum Jahr 2030 ambitioniert zu bewerten und damit der EU-KOM eine solide Datengrundlage zur konkreten Festlegung von europäischen Ausbauzielen zu liefern.
  • Offshore-Ausbau beschleunigen
Projekte auf See haben eine lange Vorlauf- und Planungszeit – der Ausbau der Offshore-Energie lässt sich oftmals nicht kurzfristig realisieren. Dies unterstreicht ein Blick nach Norddeutschland: nach dem aktuellen Planungsstand kann die Inbetriebnahme in Planung befindlicher weiterer Offshore-Windparks frühestens im Jahr 2022 erwartet werden. Für den Windpark Kaskasi in der Nordsee ist der Baubeginn für Herbst 2021 geplant, eine Inbetriebnahme 2022.[15] In der Ostsee ist mit der Installation eines größeren Windparks nicht vor 2023 zu rechnen. Der von der EU-KOM angestrebte enorme Anstieg der europäischen Ausbauziele kann nur mit einer Vielzahl neu zu errichtender Windparks bzw. Windenergieanlagen erreicht werden. Ein zügiger Ausbau kann darüber hianaus nur durch straffe Planungs-, Genehmigungs- und Realisierungsfristen erreicht werden. Die EU-KOM sollte im Rahmen ihrer Offshore-Strategie Pläne zur deutlichen Beschleunigung der Planung und Genehmigung sowie zum koordinierten Netzanschluss vorlegen.
  • Infrastruktur fördern
Allein die Realisierung von Offshore-Windenergieanlagen reicht nicht aus. Zwingend notwendig ist die begleitende Bereitstellung entsprechender Infrastruktur. Dies betrifft zum einen die Verlegung von Seekabeln vom Windpark zum Netzanschlusspunkt für den Abtransport und zur Weiterleitung des erzeugten Stroms, zum anderen die Infrastruktur für Service- und Logistikleistungen der Windindustrie zur Wartung der Offshore-Windparks. Der Aufbau und der Betrieb dieser für die Erreichung der geforderten Ausbauziele notwendigen Infrastruktur sollte in der europäischen Offshore-Strategie berücksichtigt und entsprechend gefördert werden.
  • Entwicklung der Offshore-Häfen fördern
Den Offshore-Häfen kommt in der Offshore-Energieerzeugung eine zentrale Stellung zu, für Installation, Betrieb und Wartung wird eine gute Anbindung an diese benötigt. Norddeutschland hat mit dem Deutschen Offshore-Industrie-Zentrum Cuxhaven (DOIZ) einen der größten Tiefwasser-Offshore-Seehäfen Europas, der Montage, Service und Logistik verbindet. Weitere Offshore-Häfen befinden sich in Emden, Brake, Norden/ Norddeich, Nordenham und Stade mit wichtigen Funktionen als Produktionshäfen bzw. als Service-, Versorgungs- und Reaktionshäfen. Für die Ostseeregion haben die Seehäfen Rostock, Sassnitz/Mukran sowie Lubmin bei Greifswald ein wichtiges Versorgungspotenzial für Errichtung und Service der Offshoreanlagen.
Die Hafen-Kooperation „Offshore-Häfen Nordsee Schleswig-Holstein“ umfasst insgesamt neun Häfen in Schleswig-Holstein, die die Offshore-Windkraftanlagen in der Nordsee unterstützen. Diese norddeutsche Kooperation kann als Vorbild für die Einrichtung europäischer Offshore-Hafen-Vereinigungen dienen. Die EU-KOM sollte den Ausbau und die Unterhaltung der Offshore-Häfen fördern und damit ihre zentrale Stellung in der Offshore-Logistik anerkennen.
  • Grenzüberschreitende europäische Offshore-Windprojekte fördern
Grenzüberschreitende europäische Offshore-Windprojekte sind noch rar, da die unterschiedlichen nationalen Bestimmungen zur Nutzung des Meeresbodens sowie ein enormer Koordinierungsaufwand internationale Projekte erschweren. Auch Flächenkonflikte z.B. mit der Handelsschifffahrt spielen eine Rolle. Die gerechte Kostenverteilung für Anschluss und Vertrieb ist ebenso ein Problempunkt. Dabei würde gerade eine bessere Vernetzung der Nordsee-Anrainerstaaten, z.B. durch gemeinsame hybride Projekte, enorme Vorteile mit sich bringen, wie eine deutliche Kostensenkung, eine Verringerung des Bedarfs für Offshore-Flächen, die Förderung des Stromhandels, Wachstum der Industrie sowie Sicherung der Beschäftigung in der Region. Die EU-KOM sollte im Rahmen ihrer Offshore-Strategie einen enabling Framework in Form von EU-Leitlinien zur Umsetzung von grenzüberschreitenden Projekten für die Mitgliedstaaten schaffen. Dieser sollte angemessene einheitliche Strommarktregeln sowie eine verbesserte und effiziente EU-Finanzierung umfassen und europaweite Standards für Anschlusskonzepte schaffen. Darüber hinaus sollten die Gestaltung und Terminierung von Offshore-Ausschreibungen adressiert und eine Methodik zur Bewertung der Verteilung der Kosten vorgeschlagen werden. Geeignete Flächen für grenzüberschreitende Projekte müssen zügig und in enger Abstimmung mit den Mitgliedsaaten festgelegt werden, um darauf aufbauend den Investitionsrahmen festzulegen.
  • Schwimmende Windkraftanlagen fördern
Aktuell sind die meisten Windenergieanlagen fest mit dem Meeresboden verbunden. Eine Alternative stellen schwimmende Windkraftanlagen dar, die im Meer auf einem schwimmenden Fundament errichtet werden. Der Ertrag der schwimmenden Windkraftanlagen ist noch gering; Mitte 2020 waren lediglich 0,073 GW installiert. Schwimmende Windkraftanlagen bieten jedoch enormes Potenzial zur Steigerung der Offshore-Kapazitäten. Sie können nicht nur an flachen Randmeeren eingesetzt werden, sondern auch in großen Wassertiefen und könnten daher die Lösung für diverse Flächenkonflikte sein. Zudem sind die Bedingungen auf hoher See zur Energieproduktion insgesamt stabiler als in Küstennähe. Durch weitere intensive Forschung und Entwicklung an diesen schwimmenden Fundamenten für Windkraftanlagen besteht die große Chance für Norddeutschland, hier Technologieführerschaft zu erreichen und damit nicht nur die europäische sondern auch eine weltweite Nachfrage nach dieser Technologie bedienen. Zudem ist die Umweltbelastung schwimmender Windkraftanlagen geringer, weil aufwendige Bohrungen im Meeresgrund entfallen. Damit können entsprechende Anlagen auch zur Nachhaltigkeit beitragen. Die EU-KOM sollte daher Forschung und Entwicklungsarbeit sowie die Errichtung von daher schwimmende Windkraftanlagen explizit fördern und hierzu eine Europäische Allianz einrichten.
  • Offshore-Potenzial für Wasserstoff nutzen
Die EU-KOM hat am 8. Juli den Fahrplan für eine EU-Wasserstoffstrategie vorgestellt. Ein wesentlicher Baustein der EU-Wasserstoffstrategie ist die Hochskalierung der Wasserstoffproduktion bei gleichzeitiger Senkung der Produktionskosten. Bis 2024 sollen 6 Gigawatt an Elektrolyseleistung installiert sein, womit eine Million Tonnen Wasserstoff hergestellt werden können. Bis 2030 soll die Leistung auf 40 Gigawatt ansteigen, womit 10 Millionen Tonnen Wasserstoff produziert werden können. Für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff, auch grüner Wasserstoff genannt, wird nachhaltig produzierter Strom benötigt. Nachhaltig erzeugtem Strom aus der Offshore-Energiegewinnung kann bei der Hochskalierung der Wasserstoffproduktion eine Schlüsselrolle zukommen. Die Produktion von grünem Wasserstoff wird derzeit weitgehend an Land realisiert. Die dezentrale Produktion von Wasserstoff nahe oder in den Offshore-Windparks mit der Speicherung Offshore oder der Leitungsgebundenen Ableitung über Rohre analog der in der Nordsee installierten Öl- und Gasförderanlagen kann ein weiterer Schritt zur Effizienzsteigerung sein Die EU-KOM sollte daher eine sinnvolle Verzahnung zwischen der EU-Wasserstoffstrategie und der Offshore-Strategie herstellen, um positive Synergieeffekte zu nutzen und somit die Produktion von grünem Wasserstoff zu steigern.
  • Finanzmittel festlegen
Die EU-KOM sollte für den Ausbau der Offshore-Energie ausreichende Mittel in erheblichem Umfang zur Verfügung stellen und für Forschung und Innovation Mittel aus dem Horizon Europe und dem Innovationsfonds generieren. Zudem sollten Mittel aus dem Europäischen Aufbauplan für die Förderung von Offshore-Häfen bereitgestellt werden. Mittel sollten zudem bereitgestellt werden für eine Effizienzsteigerung der Elektrolyseurtechniken einschließlich der Verwendung von Meerwasser beim Elektrolyseprozess. Vermieden werden kann so ein künftig erheblicher Zugriff auf Grundwasser an Land.
  • Maritime Raumplanung optimieren
Der Zugang zu Flächen auf See zur Errichtung von Windkraftanlagen ist ein entscheidender Schlüssel zur Steigerung der Offshore-Kapazitäten. Ohne Zugang zu geeigneten und ausreichenden Flächen können die benötigten Windenergieanlagen nicht errichtet werden. Geeignete Flächen zu identifizieren ist von diversen Faktoren abhängig, denn nicht überall können Windenergieanlagen sicher errichtet werden. Um die Nutzung der Meeresflächen gibt es zusätzlich eine Konkurrenz zwischen Schifffahrt, Tourismus, Fischerei, Militär und weiteren Nutzern. Diese vielfältigen Nutzungsansprüche müssen berücksichtigt und Nutzungskonflikte möglichst ausgeschlossen werden. Gleichzeitig müssen die marinen Lebensräume für diverse sensible Spezien sowie marine Ökosysteme respektiert und geschützt werden. Die EU-KOM sollte konkrete Vorschläge für eine optimierte maritime Raumplanung vorlegen, die einen ökonomisch und ökologisch sinnvollen Ausgleich zwischen Nutzfläche für die Offshore-Windenergie einerseits und marinem Lebensraum andererseits vorsieht. Hierzu sollte die EU-KOM eine sinnvolle Verzahnung zwischen der Offshore-Strategie und der EU-Biodiversitätsstrategie schaffen.
  • Transeuropäische Netze erweitern und ertüchtigen
Das Schwerpunktprogramm „Transeuropäische Netzwerke“ der EU zielt darauf ab, die bestehenden Netzwerke der Mitgliedstaaten in den Bereichen Verkehr, Energie und Kommunikation miteinander zu verknüpfen. In Bezug auf den Ausbau der Offshore-Energie ist es notwendig, das Transeuropäische Netz für Energie (TEN-E) so zu erweitern und zu ertüchtigen, dass der auf See gewonnene Strom von den Küsten ausgehend in die verschiedenen Mitgliedsstaaten verteilt werden kann. Da dieser Offshore-Strom mittels Elektrolyse in Wasserstoff umgesetzt werden kann, sollte die EU-KOM entsprechende Vorgaben formulieren, um die Netzinfrastruktur sowie die Infrastruktur für den Transport von Wasserstoff via Pipelines zu optimieren. Insgesamt sind eine inhaltliche Abstimmung und Verknüpfung der Offshore-Strategie, der EU-Wasserstoffstrategie sowie der Revision des transeuropäischen Energienetzes sicherzustellen.
  • Haftungsfragen adressieren
Nicht zuletzt sind Offshore-Projekte auch mit einem hohen Haftungsrisiko behaftet. Durch die langen Planungs- und Genehmigungszeiten entstehen Bauverzögerungen, auch die Wartung und Instandhaltungs sind aufwändig. Die EU-KOM sollte Haftungsfragen umfassend und konkret adressieren, gerade im Bereich der grenzüberschreitenden Offshore-Projekte.
  • Best Practice teilen
Europa ist Vorreiter im Offshore-Bereich. Das Vereinigte Königreich, Deutschland, Dänemark und Belgien gehören zu den Spitzenreitern der europäischen Offshore-Energie. Der Austausch von „best-practice“ zwischen den europäischen Spitzenreitern sollte durch die EU-KOM aktiv gefördert werden. Hierzu könnten Foren und Plattformen von der EU-KOM eingerichtet werden; ein wichtiges Austauschthema könnte beispielsweise das Auktionsdesign sein.

Fazit

Der europäischen Strategie für erneuerbare Offshore-Energie kommt eine Schlüsselfunktion zur Erreichung der Klimaziele des Green Deals zu. Wie genau die hierfür notwendige Verzehnfachung der aktuell in europäischen Gewässern erzeugten Offshore-Energie umgesetzt werden kann, wird eine der zentralen Herausforderungen der Strategie sein.
Die EU-KOM wird dazu aufgerufen, konkrete Ausbauziele für 2030 und für 2050 zu benennen, den Ausbau zu beschleunigen, die notwendige Infrastruktur zu fördern und hierfür gezielte Finanzmittel zuvorzusehen.
Ein besonderes Augenmerk sollte die EU-KOM in Abstimmung mit den beteiligten Ländern hierbei auf eine optimierte maritime Raumplanung für die Bereitstellung von geeigneten und ausreichenden Flächen für den Ausbau und Anschluss der benötigten Windenergieanlagen richten unter Berücksichtigung aller anderen ökonomischen und ökologischen Belange. Hierzu sollte die EU-KOM einen für die wirtschaftliche Realisierung der notwendigen Offshore-Projekte sinnvollen und umsetzbaren Ausgleich zwischen der Offshore-Strategie und der EU-Biodiversitätsstrategie schaffen.
Ebenso sollte die Förderung der notwendigen Offshore-Häfen im Fokus liegen da nur diese eine reibungslose Koordinierung von Offshore- und Onshore-Logistik garantieren.
Grenzüberschreitende europäische Offshore-Projekte sollten gefördert werden. Hierfür sollte die EU-KOM ein enabling Framework schaffen und in enger Abstimmung mit den Mitgliedstaaten geeignete Flächen identifizieren.
Nicht zuletzt sollte eine sinnvolle Schnittstelle zur EU-Wasserstoffstrategie geschaffen werden, um positive Synergieeffekte des auf See gewonnenen nachhaltigen Stroms für die Produktion von grünem Wasserstoff zu schaffen.
Die IHK Nord wird sich auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft aktiv einbringen, um das Potenzial der Offshore-Energie an Nord- und Ostsee voll auszuschöpfen und damit den Standort Norddeutschland zielgerichtet zu fördern.

[1] https://ec.europa.eu/clima/policies/strategies/2030_de[2] Programm der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, abzurufen unter https://www.eu2020.de/eu2020-de/programm[3] Hinweis: die folgenden Daten beziehen sich auf das Jahr 2019, entsprechende Referenzwerte für 2020 liegen noch nicht vor[4] Status des Offshore-Windenergieausbaus in Deutschland - Jahr 2019, In: Deutsche WindGuard, abzurufen unter https://www.windguard.de/jahr-2019.html[5] Status des Offshore-Windenergieausbaus in Deutschland - Jahr 2019, In: Deutsche WindGuard, abzurufen unter https://www.windguard.de/jahr-2019.html[6] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/30128/umfrage/anzahl-der-offshore-windparks-weltweit-nach-laendern/[7] https://www.enbw.com/erneuerbare-energien/windenergie/unsere-windparks-auf-see/baltic-2/[8] Status des Offshore-Windenergieausbaus in Deutschland - Jahr 2019, In: Deutsche WindGuard, abzurufen unter https://www.windguard.de/jahr-2019.html[9] https://www.group.rwe/presse/newsletter-rwe-ag/newsletter-2020/07-2020/Kaskasi [10]https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2020/20200603-kabinett-beschliesst-aenderung-des-windenergie-auf-see-gesetzes.html [11]https://www.bsh.de/SharedDocs/Meldungen_Oeffentl_Bekanntmachungen/_Meldungen/2020/Bekanntmachung-Fortschreibung_FEP_Nord-und-Ostsee.html?nn=1939528
[12] Offshore Wind in Europe, Key trends and statistics 2019, Windeurope, abzurufen unter https://windeurope.org/data-and-analysis/product/offshore-wind-in-europe-key-trends-and-statistics-2019/[13] https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12517-Offshore-renewable-energy-strategy[14]https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2020/20200706-nordsee-anrainerstaaten-fordern-europaeische-rahmenbedingungen-fuer-die-zusammenarbeit-im-bereich-offshore-windenergie-auf-dem-weg-zur-klimaneutralitaet.html[15] https://www.group.rwe/presse/newsletter-rwe-ag/newsletter-2020/07-2020/Kaskasi