Energie in Europa
Repower EU
In Reaktion auf den seit Februar 2022 anhaltenden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die EU-KOM am 18. Mai 2022 ihren RePowerEU Plan vorgelegt. Ziel ist es, die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffimporten aus Russland zu verringern. Hierfür sieht der Plan verschiedene Maßnahmen vor, insbesondere die Diversifizierung der Energieimporte, den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie eine Steigerung der Energieeffizienz. Insgesamt soll der Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 von bisher 40 Prozent auf 45 Prozent erhöht werden. Aus Sicht der norddeutschen Wirtschaft ist es richtig, im Rahmen der Krisenreaktion bereits jetzt auch die mittelfristigen Bedarfe der norddeutschen Unternehmen im Blick zu haben, insbesondere auch die besonders energieintensive Wasserstoffherstellung.
Relevanz für Norddeutschland
Norddeutschland kann durch die geografischen Standortvorteile für das gesamte Spektrum der erneuerbaren Energien im Bereich der Erzeugung und Energiespeicherung zur nationalen und europäischen Energiesicherheit und damit zur Realisierung der Ziele des RePowerEU-Plans beitragen. Mit den derzeit fünf geplanten seeseitigen LNG-Terminals im Norden kann die Gasversorgung in Deutschland und Europa sichergestellt werden. Zudem spielt die Region als Wasserstoff-Hub eine entscheidende Rolle im Bereich der Erzeugung grünen Wasserstoffs. Norddeutsche Windräder, Photovoltaik und Biomasse erzeugen die grüne Energie, die zur Produktion von grünem Wasserstoff dienen kann. Die Wasserstofferzeugung auf See reduziert den nationalen Aufwand zum Bau einer Vielzahl von Übertragungsnetzen.
LNG in Norddeutschland – entscheidend für Europa
Alle geplanten deutschen Standorte für LNG-Terminals – feste Hafenanlagen sowie schwimmende Terminals – befinden sich in Norddeutschland. Das deutsche LNG-Beschleunigungsgesetz sieht elf LNG-Anlagen vor. Derzeit geplante Standorte sind Brunsbüttel, Wilhelmshaven, Stade und Lubmin, weitere Standorte wie z.B. Rostock werden geprüft. Zusammen sollen die festen norddeutschen LNG-Terminals eine Kapazität von bis zu 30 Milliarden Kubikmetern Gas erreichen. Damit könnten sie knapp die Hälfte der bisherigen russischen Erdgaslieferungen ersetzen. Hinzu kommen Kapazitäten aus schwimmenden LNG-Anlagen (FSRU). Im Rahmen des RePowerEU Plans werden schwimmende LNG-Terminals in Norddeutschland als entscheidender Versorger für Nord-West Europa und als Vorhaben von gemeinsamem Interesse (PCI) identifiziert. Hierzu wurde seitens der EU-KOM ausgeführt: „Die Bewertung hat eindeutig ergeben, dass die zusätzlichen FSRU in Eemshaven und Wilhelmshaven sowie ein zusätzliches LNG-Terminal in Deutschland (Brunsbüttel) die Infrastrukturengpässe in Nordwesteuropa kurzfristig verringern werden.“ ¹Damit kommt Norddeutschland eine entscheidende Funktion bei der europäischen Versorgung mit Gas zu.
Wasserstoff-Hub Norddeutschland
Wasserstoff ist als dekarbonisierende Energiequelle ein Schlüsselrohstoff der Zukunft und bietet dem Norden Deutschlands eine große Zukunftschance, die zentrale Rolle in der Energiewende zu übernehmen. Mit dem Zugang zum Meer und den hohen Erzeugungskapazitäten von On- und Offshore-Windstrom kann Norddeutschland eine grüne Wasserstoffindustrie aufbauen, den Rohstoff vor Ort emissionsfrei produzieren, speichern sowie vor Ort nutzen und damit in Norddeutschland die Wertschöpfung erzeugen. Auch als Export- und Importgut wird Wasserstoff für die norddeutschen Seehäfen von Bedeutung sein. Im Rahmen des RePowerEU Paketes hat die EU-KOM zudem verschiedene potenzielle Wasserstoff-Korridore identifiziert. Norddeutschland soll für den Wasserstoff-Korridor der Nordsee das Einfallstor werden; in der Grafik als Northern Seas H2 corridor dargestellt. Ebenso bedeutsam sind die Wasserstoffpotenziale in der Ostseeregion. Der Norden wird somit für die europäische Versorgung mit Wasserstoff ausschlaggebend sein – sowohl beim Import als auch bei der Erzeugung. Nach den Angaben des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung herausgegebenen Wasserstoffatlasses ist für die fünf norddeutschen Bundesländer bis zum Jahr 2030 eine Marktentwicklung von insgesamt ca. 3.744 MW installierte Elektrolyseleistung möglich. ²Das entspricht fast 40 Prozent der bundesweiten Zielangabe für die Elektrolyseurkapazität.
Abbildung: Karte der europäischen Gasinfrastruktur – PCI und zusätzliche Projekte im Rahmen von RePowerEU Quelle: EU-KOM
Norddeutsche Offshore Energie – Rückenwind für Europa
Die Rolle Norddeutschlands im Offshore-Bereich ist enorm – für ganz Deutschland aber auch für Europa. Deutschland ist europaweit der zweitgrößte Produzent von Offshore-Energie: Gemeinsam mit dem Spitzenreiter UK und dem drittgrößten Produzenten, den Niederlanden, produzieren diese drei Länder europaweit 81 Prozent der Offshore-Energie-Kapazitäten. ³Im Jahr 2021 waren in Deutschland Offshore-Windenergieanlagen mit einer Leistung von gesamt knapp 7,8 GW in Betrieb. Der Großteil hiervon (ca. 6,7 GW) ist in der Nordsee, ca. 1,1 GW in der Ostsee installiert.⁴
Auch für den zukünftigen Ausbau der Offshore-Energie ist die norddeutsche Region bedeutsam. Deutschland hat im Rahmen des kürzlich erneuerten Windenergie-auf-See-Gesetzes ambitionierte Ziele formuliert. Bis zum Jahr 2030 soll der Zubau auf 30 GW steigen, bis 2035 auf 40 GW und bis 2045 auf 70 GW.
Europaweit ist allein im Zuge der europäischen Offshore-Strategie eine Erhöhung der installierten Leistung der Offshore-Energie auf mindestens 60 GW bis zum Jahr 2030 bzw. mindestens 300 GW bis 2050 vorgesehen.
Forderungen der Norddeutschen Wirtschaft
Der Norden kann durch die geplanten LNG-Terminals, die Rolle als Wasserstoff-Hub und durch den Ausbau der Offshore-Kapazitäten einschließlich der Wasserstofferzeugung dazu beitragen von fossilen Energierohstoffen unabhängig zu werden. Dies gelingt jedoch nur, wenn der RePowerEU Plan konsequent umgesetzt wird. Konkret fordert die norddeutsche Wirtschaft:
Diversifizierung des Gasmarktes: LNG nutzbar machen
Russland war bis zur Veröffentlichung der RePowerEU Pläne der wichtigste Gaslieferant der EU, knapp 45 Prozent der gesamten Gaslieferungen europaweit im Jahr 2021 stammten aus Russland, was ca. 155 Milliarden Kubikmeter entspricht. Die Abhängigkeit von Gas aus Russland ist europaweit hoch, vor dem Hintergrund der aktuellen Sanktionen gegen Russland im Bereich Kohle und Erdöl wächst die Abhängigkeit von Gas weiter. Um diese weiter zu lösen, ist LNG eine Alternative.
Seit Anfang 2022 hat die EU Rekorde bei den LNG-Importen erreicht, doch dies reicht bei weitem nicht aus. Mit dem RePowerEU Plan sollen zwei Drittel des russischen Gases – etwa 100 Milliarden Kubikmetern –bis Ende 2022 gekürzt werden. Die Hälfte davon – ca. 50 Milliarden Kubikmeter – würde durch LNG-Diversifizierung ersetzt werden. Dafür muss die EU an folgenden Stellschrauben drehen:
- LNG-Terminals für Europa: Europaweit verfügen wenige Länder über LNG-Terminals – hierunter Spanien, Italien, die Niederlande, Belgien, Frankreich und Polen. Die bereits identifizierten Vorhaben von gemeinsamem Interesse (PCI) sowie die Projekte im Rahmen des RePowerEU müssen nun schnellstmöglich umgesetzt werden, da sie wichtige strategische Knotenpunkte für die europaweite Versorgung mit LNG darstellen. Es sollte hierbei eine hohe Konnektivität der LNG-Pipelines untereinander und des europäischen Gasnetzes sichergestellt werden. Dies ist für die europäischen Binnenländer ohne eigene Zugänge zu Häfen von Bedeutung, da sie auf eine zuverlässige Zufuhr angewiesen sind. Darüber hinaus sollten temporäre LNG-Terminals zur Verstärkung bei akuten Engpässen zum Einsatz kommen.
- LNG als Wegbereiter für Wasserstoff: Die EU sollte vermeiden, durch LNG in eine erneute Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen oder von einzelnen Staaten und Regionen zu geraten. Europaweit sollte daher für neue LNG-Terminals und Pipelines eine Verpflichtung für „hydrogen ready“ bestehen, um eine zukünftige Nutzung der aufgebauten bzw. aufzubauenden Infrastruktur für Wasserstoff zu erleichtern. Alle anstehenden Investments und Entscheidungen müssen zukunftsorientiert ausgerichtet sein auf eine spätere Anlandungsmöglichkeit für grünen und teils grauen Wasserstoff.
- Strategische LNG-Partnerschaften: Um den Bedarf an LNG zu decken, sollte die EU, wie im Rahmen des REPowerEU Paketes vorgeschlagen, die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern verstärken und strategische Partnerschaften eingehen. Lieferungen von LNG aus den USA und Kanada sollten zügig aufgestockt und die Zusammenarbeit mit der Golfregion und Australien weitergeführt werden. Als mögliche Partner werden im Rahmen des RePowerEU Plans zudem Israel und Ägypten benannt. Darüber hinaus sollte die EU für die Mitgliedstaaten Möglichkeiten anbieten, LNG-Einkäufe gesammelt zu tätigen. Die von der EU-KOM geplante EU-Energieplattform ist eine gute Option, da sie auf freiwilliger Basis die Nachfrage bündelt und die Nutzung der Infrastruktur optimiert.
Grünen Wasserstoff fördern: RED II anpassen
Auch im Bereich Wasserstoff will die EU-KOM mit RePowerEU durch den sogenannten „Wasserstoff Accelerator“ eine schnellere Nutzung von Wasserstoff und seinen Derivaten in der EU voranbringen. 10 Millionen Tonnen Wasserstoff sollen innerhalb der EU produziert werden, nochmals die gleiche Menge bis 2030 importiert. Die norddeutsche Wirtschaft begrüßt, dass die EU-KOM Wasserstoff in das Zentrum der RePower Pläne stellt. Hierfür müssen entsprechende rechtliche Bedingungen geschaffen werden.
Der von der EU-KOM vorgeschlagene neue Rechtsrahmen für erneuerbaren Wasserstoff (RED II) schafft jedoch die notwendigen Bedingungen zum zeitnahen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft nicht, so die Einschätzung der norddeutschen Wirtschaft.
Kritisch bewertet die IHK Nord insbesondere das Zeitkriterium, welches für die Erzeugung von erneuerbarem Strom und die Produktion von Wasserstoff ein Zeitlimit von einer Stunde vorschreibt. Eine Synchronität von einer Stunde bedeutet einen zu hohen bürokratischen Aufwand. Hier sollte die Regelung (von einem Monat) aus der Übergangsfrist auch für die Jahre nach 2027 übernommen werden – zumindest jedoch innerhalb von 24 Stunden. Auch das Kriterium der Zusätzlichkeit ist nach Ansicht der IHK Nord nicht geeignet, da dieses das Potenzial von erneuerbarem Strom für die Wasserstofferzeugung in der Hochlaufphase reduziert und daher die Verfügbarkeit von erneuerbarem Wasserstoff insgesamt vermindert. Auf das Positionspapier der IHK Nord zu RED II wird vollumfänglich verwiesen.⁵
Darüber hinaus ist für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ein einheitliches harmonisiertes System von Herkunftsnachweisen für klimaneutralen Wasserstoff erforderlich, im Rahmen der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie sollte über alle Anwendungssektoren hinaus eine einheitliche Definition geschaffen werden.
Planungsbeschleunigung von RePowerEU umsetzen und „go-to-areas“ festlegen
Der RePowerEU Plan enthält für die Windenergie, im Gegensatz zu anderen Sektoren wie z. B. der Solarenergie, keine konkreten Ausbauziele. Dennoch wird die Windenergie von dem im Rahmen des RePowerEU Plans geplanten „Ausbau-Turbo“ für Erneuerbare Energieprojekte profitieren. Dies ist dringend geboten, da der geplante Ausbau der Erneuerbaren Energie auf 45 Prozent ohne Windkraft nicht zu erreichen ist. Hierfür muss der Offshore-Ausbau jedoch deutlich schneller voran gehen. Im Durchschnitt vergehen neun Jahre, bis eine neue Offshore-Anlage ans Netz geht. Dies ist aus Sicht der norddeutschen Wirtschaft ein untragbarer Zustand.
Die norddeutsche Wirtschaft begrüßt daher, dass nach den Plänen des RePowerEU Plans verschiedene Instrumente zur Beschleunigung Erneuerbarer Energieprojekte vorgesehen sind. So sollen die Mitgliedstaaten geeignete Flächen für erneuerbare Energieprojekte, sogenannte „Go-to Areas“ ausweisen, bei denen die Pflicht einer Umweltverträglichkeitsprüfung entfällt und der Genehmigungszeitraum für Projekte der Erneuerbaren Energien auf ein Jahr beschränkt wird.
Außerhalb der „go-to-Areas“ soll der Genehmigungszeitraum für Projekte der Erneuerbaren Energien auf zwei Jahre beschränkt werden. Darüber hinaus sollen erneuerbare Energieprojekte planungsrechtlich in Zukunft „von überragendem öffentlichem Interesse“ sein. Dies kann wesentlich zur Beschleunigung beitragen, da bei Interessenkollisionen mit potenziellen Naturschutzbelangen damit Erneuerbare Energieanlagen von hohem öffentlichem Interesse sind und grundsätzlich Vorrang haben.
Diese planungsrechtlichen Instrumente müssen konsequent umgesetzt werden, um der Offshore-Energie den dringend benötigten Rückenwind zu geben. Andere wirtschaftliche Belange im Offshore Bereich wie Fischerei, Schifffahrt und Rohstoffgewinnung sollten dabei weiterhin Beachtung finden.
Darüber hinaus muss im Gleichschritt zur Beschleunigung die Beteiligungspflicht und –Möglichkeit Dritte auf kurze Zeiträume von bis zu vier Wochen begrenzt werden mit einer Zustimmungsfiktion. Nachgelagerte gerichtliche Überprüfungsverfahren sind zu begrenzen auf einer OVG-Entscheidung als einzige Instanz zur Prüfung nur auf Rechtsfehler ohne materiellrechtliche Prüfung.
Zusammenfassung
Um das Potenzial des Nordens in den Bereichen LNG, Wasserstoff und Offshore für den RePowerEU Plan auszuschöpfen und einen entscheidenden Beitrag zur europäischen Energiesicherheit leisten zu können, fordert die IHK Nord:
- LNG für die Diversifizierung des Gasmarktes nutzbar machen! Europaweit müssen neue LNG-Terminals errichtet werden, die über gut verbundene Pipelines verfügen und eine verlässliche, grenzüberschreitende Versorgung mit LNG sicherstellen. Um eine neue Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu vermeiden, sollte die LNG-Infrastruktur bereits „hydrogen ready“ sein. Darüber hinaus braucht die EU strategische Partnerschaften für den gebündelten Ankauf von LNG, hierfür sollte die freiwillige EU-Energieplattform genutzt werden.
- Förderung von Grünem Wasserstoff! Um die angestrebte Produktion von mindestens 10 Millionen Tonnen Wasserstoff bis zum Jahr 2030 innerhalb der EU zu erreichen, müssen die geeigneten Rahmenbedingungen umgehend geschaffen werden. Hierfür müssen die Vorgaben der RED II entsprechend angepasst und ein europaweit harmonisiertes System für den Herkunftsnachweis von klimaneutralem Wasserstoff eingeführt werden.
- Rückenwind für die Erneuerbaren Energien, insbesondere für die europäische Offshore-Industrie! Hierfür müssen Maßnahmen zur Planungsbeschleunigung konsequent umgesetzt und die „go-to-Areas“ schnell definiert werden. Alle Möglichkeiten einer Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung außerhalb dieser Areas sind zeitnah umzusetzen.
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¹Anhang zur Mitteilung an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zu RePowerEU, S.9
²www.wasserstoffatlas.de
³Offshore Wind energy: 2021 mid-year statistics, Windeurope, August 2021
⁴Status des Offshore-Windenergieausbaus in Deutschland im Jahr 2021, Deutsche Windguard
⁵IHK Nord Stellungnahme „RED II – Delegierter Rechtsakt zu RFNBOs“ aus Juni 2022