Bundestagswahl 2017

Forderungen und Bewertung aus Norddeutschland

Forderungen aus den norddeutschen Bundesländern

Die norddeutschen Unternehmen blickten gespannt auf die vergangene Bundestagswahl. Trotz der positiven wirtschaftlichen Entwicklung stehen wir auch in dieser neuen Legislaturperiode vor großen Herausforderungen. Deshalb möchten wir Ihnen ausgewählte wirtschaftspolitische Positionen der insgesamt fünf Schwerpunktthemen der IHK Nord nahebringen.
Die IHK Nord ist der Zusammenschluss der zwölf norddeutschen Industrie- und Handelskammern. Gemeinsam bilden wir das Sprachrohr der norddeutschen Wirtschaft mit Blick auf die Politik in Berlin und Brüssel. Die rund 700.000 Unternehmen in unseren IHK-Bezirken erwirtschaften gut 17 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Das entspricht etwa der Wirtschaftsleistung Österreichs oder Schwedens. Die fünf Schwerpunkte der IHK Nord liegen auf den Themen: Maritime Wirtschaft und Infrastruktur, Energie und Industrie, Ernährungswirtschaft, Außenwirtschaft sowie Tourismus. Mehr Informationen zur Arbeitsweise der IHK Nord gibt es hier.

Maritime Wirtschaft und Infrastruktur

Unsere Seehäfen verbinden deutsche Unternehmen mit den Weltmärkten und haben eine dynamisch wachsende Bedeutung für die gesamte deutsche Volkswirtschaft. Die Erreichbarkeit der deutschen Seehäfen – seeseitig ebenso wie an das Hafenhinterland - ist daher im elementaren Interesse der Exportnation Deutschland. Die norddeutsche Wirtschaft fordert die neue Bundesregierung in diesem Kontext zu zwei prioritären Initiativen auf:
  • Neues Infrastrukturbeschleunigungsgesetz auf den Weg bringen
    Mit Blick auf die Beschleunigung der Planungsverfahren bei Infrastrukturvorhaben haben bereits diverse von der Politik eingesetzte Kommissionen in Zusammenarbeit mit den Verbänden Vorschläge erarbeitet. Zu nennen sind hier vor allem die Lösungsansätze des "Innovationsforums Planungsbeschleunigung". Die IHK Nord fordert die Umsetzung der dort vorgeschlagenen Maßnahmen im Rahmen eines neuen Infrastrukturbeschleunigungsgesetzes. Gleichzeitig sollten europaweite Alternativen zur deutschen Planfeststellung, wie z.B. Baugesetze wie in Dänemark, geprüft werden.
  • EU-Umweltgesetzgebung – Bundesregierung muss in Brüssel aktiv werden
    Bei Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Infrastrukturmaßnahmen sah das deutsche Umweltrecht bis vor Kurzem noch sogenannte Präklusionsregelungen vor: Danach war zum Beispiel ein Umweltverband im Gerichtsverfahren mit allen Einwendungen ausgeschlossen, wenn er sie nicht oder nicht rechtzeitig geltend macht, er dies jedoch hätte tun können. Der Europäische Gerichtshof hat aber in einem Urteil erklärt, dass die materielle Präklusion unvereinbar mit dem EU-Umweltrecht sei. Kritik an dem EuGH-Urteil wurde nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Mitgliedstaaten geübt. Um nach dem Fall der Präklusion Missbrauch mit möglichst spät eingebrachten Einwendungen zu Lasten eines Verfahrens zu vermeiden, sollte die EU-Gesetzgebung nach Ansicht der IHK Nord überarbeitet werden. Dafür muss sich die künftige Bundesregierung bei der Kommission und im Ministerrat starkmachen.

Energie- und Industriepolitik

Deutschland hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis zum Jahr 2035 soll der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Strommix von knapp 30 Prozent in 2016 auf bis zu 60 Prozent gesteigert werden. Die Energiewende kann nur durch den konsequenten Ausbau von Windenergie On- und Offshore erreicht werden. Dem windreichen Norden kommt damit eine Schlüsselfunktion für das Gelingen der Energiewende zu. Damit die norddeutsche Wirtschaft diese Funktion erfüllen kann, besteht vorrangiger Handlungsbedarf seitens der Politik:
  • Netzausbau vorantreiben statt Energiewende bremsen
    Der Aus- und Umbau der Energienetze ist für den Erfolg der Energiewende unerlässlich, kommt jedoch nicht so voran, wie gemäß Bundesbedarfsplangesetz notwendig. Die daraus abgeleitete Benachteiligung windreicher Standorte durch die Einführung von sogenannten Netzausbauregionen im Zuge des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2017, die vor allem in Norddeutschland liegen, konterkariert das Ziel, die volkswirtschaftlichen Kosten der Energiewende zu senken. Denn dafür muss sich die Anpassung der Netzinfrastruktur weiter am Ausbau der erneuerbaren Energien orientieren, nicht umgekehrt, damit Strom dort produziert wird, wo dies am günstigsten ist.
  • Strommarktreform vollständig umsetzen und Sektorenkopplung stärken
    Die Weiterentwicklung des Strommarktdesigns ist für den Erfolg der Energiewende eine zentrale Herausforderung. Sie muss die Ziele Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Klimaschutz bei einem stetig wachsenden Anteil fluktuierender erneuerbarer Energien mit dem notwendigen Ausbau von Stromspeichern und Sektorenkopplung soweit wie möglich in Einklang bringen und dazu die entsprechenden regulatorischen Rahmenbedingungen zukunftssicher modernisieren. Die mit dem Weißbuch der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen sind in ihrer Gesamtheit in der Lage, das hohe Maß an Versorgungssicherheit zu erhalten, indem Flexibilität auf der Angebots- und Nachfrageseite angeregt wird. Sehr positiv zu bewerten ist das Bekenntnis im Weißbuch, dass Anreize für Effizienz und Flexibilität aufeinander abgestimmt werden müssen. Das Leitmotiv im Strommarkt muss die Nutzung vorhandener und neuer kostengünstiger Flexibilitätspotenziale durch Modernisierung nicht-systemdienlicher regulatorischer Rahmenbedingungen sein.

Außenwirtschaft

Durch die zunehmende Integration der Weltwirtschaft und die wichtige Rolle des wachsenden seewärtigen Außenhandels wird die Bedeutung Norddeutschlands als Drehscheibe des deutschen Außenhandels weiter steigen. Dies bringt nachhaltige volkswirtschaftliche Effekte mit sich, gerade in der mittelständischen Wirtschaft. Das Prinzip des freien Welthandels und der ungehinderte Zugang zu den Märkten sollten dabei Leitmotive des Handelns sein. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass weite Teile der Außenwirtschaftspolitik auf EU-Ebene geregelt werden, erwartet die norddeutsche Wirtschaft von der deutschen Bundesregierung insbesondere Folgendes:
  • EU-Binnenmarkt vollenden – Wirtschaftsinteressen bei Brexit-Verhandlungen beachten
    Der Binnenmarkt ist das Herzstück Europas. Seine Vollendung muss auch für die künftige Bundesregierung höchste Priorität haben. Die weitere Öffnung der Märkte bei gleichzeitiger Beseitigung bürokratischer Hürden und bestehender Handelshemmnisse in der EU schafft Wohlstand, sichert die globale Wettbewerbsfähigkeit der EU und steigert ihre Attraktivität als Investitionsstandort. Die Mitgliedstaaten müssen das Unionsrecht dafür richtig umsetzen, um gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle europäischen Unternehmen sicherzustellen und ungerechtfertigte Beschränkungen für den freien Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr abzubauen. In diesem Kontext sollten die Brexit-Verhandlungen und die Verhandlungen über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU zügig abgeschlossen und Rechtsunsicherheiten für norddeutsche Unternehmen – etwa durch praxisgerechte Übergangsregelungen – vermieden werden. Unter strikter Wahrung der Integrität des europäischen Binnenmarktes sollte sich die neue Bundesregierung dann für ein möglichst umfassendes Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU einsetzen.
  • Einfuhrumsatzsteuer praxisnah gestalten
    Das Verfahren zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer führt zu spürbaren Wettbewerbsnachteilen für den Außenhandelsstandort Norddeutschland. Wird Ware über deutsche Seehäfen importiert, muss der Einführer unmittelbar die Einfuhrumsatzsteuer beim Zoll abführen und erhält sie erst später im Zuge der Umsatzsteueranmeldung von seinem Finanzamt zurück. Anders verhält es sich in Wettbewerbshäfen, etwa in den Niederlanden, wo entweder der Einführende die Einfuhrumsatzsteuer direkt in seiner Umsatzsteuervoranmeldung verrechnen und die dadurch entstehende Liquidität anderweitig nutzen oder sogar die Abführung und Geltendmachung der Einfuhrumsatzsteuer vollständig durch den Zollagenten (Fiskalvertreter) vornehmen lassen kann. Diese erhebliche Benachteiligung deutscher Seehäfen sollte schnellstmöglich behoben werden. Die Bundesregierung sollte daher ebenso wie die niederländische Regierung aufbauend auf Artikel 211 der EU-Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie von 2006, die Erleichterungen beim Erhebungsverfahren zur Einfuhrumsatzsteuer zulässt, schnell Abhilfe schaffen.

Tourismus

Norddeutschland ist mit seinen vielfältigen touristischen Strukturen und Angeboten das mit Abstand beliebteste Reisegebiet in Deutschland. Der Tourismus ist in Norddeutschland ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, in einzelnen Regionen trägt er teilweise mit einem Anteil von über 20 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei. Er veranlasst in erheblichem Umfang Investitionen und sichert standortgebundene Arbeitsplätze und Einkommen auf allen Qualifizierungsstufen. Darüber hinaus vermitteln die touristischen Angebote den norddeutschen Bundesländern ein positives Image, das sich vorteilhaft auf andere Wirtschaftssektoren, das Standortmarketing sowie das Werben um Fachkräfte auswirkt und Lebensqualität schafft. Ein vielfältiger Politikmix ist erforderlich, um die herausragenden Potenziale des Tourismus in Norddeutschland zu heben, zu dem die neue Bundesregierung maßgeblich wie folgt beitragen sollte:
  • Unnötige Bürokratie und Kosten vermeiden
    Hotellerie, Gastronomie und die Tourismus- und Freizeitwirtschaft sind einer Vielzahl spezifischer Belastungen ausgesetzt. Durch das Ausfüllen von Anträgen, Formularen und Statistiken sowie durch Nachweis-, Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten entstehen enorme Kosten und Aufwand. Die nationale Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie, die Umsetzung der Kassensicherungsverordnung, die Einführung einer „Bettensteuer“ bzw. anderer Formen einer zusätzlichen Tourismusabgabe sowie von Hygieneampeln sind ebenso jüngste Beispiele wie die Anlastung der Kosten anlassunabhängiger Betriebsprüfungen im Hinblick auf die Einhaltung der Hygienevorschriften. Der Bund ist gefordert, bestehende Gesetze und Verordnungen regelmäßig auf ihre Notwendigkeit sowie ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft zu prüfen und die bürokratischen Belastungen für die Unternehmen zu reduzieren. EU-Vorschriften sollte der nationale Gesetzgeber ohne Zusätze oder Sonderregelungen umsetzen, die Wettbewerbsnachteile entstehen lassen.
  • Vermarktung Norddeutschlands im Ausland fördern
    Der Incoming-Tourismus zählt in Deutschland zu den Segmenten mit den stärksten Wachstumspotenzialen. Die Zahl der Übernachtungen ausländischer Gäste stieg 2015 überproportional um 5,4 Prozent auf 79,7 Mio. Auf die fünf norddeutschen Bundesländer entfielen lediglich 10,3 Mio. der ausländischen Übernachtungen.. Die Angebote der norddeutschen Bundesländer müssen unserer Ansicht nach in den relevanten ausländischen Quellmärkten unterstützt werden, um zu gewährleisten, dass der Tourismus weiterhin einer der Wirtschaftsmotoren im Norden bleibt und damit Einkommen und Arbeitsplätze für eine Vielzahl von Bürgern sichert. Hierzu sollte die Deutsche Zentrale für Tourismus gestärkt werden.

Ernährungswirtschaft

Die Ernährungswirtschaft ist im Norden ein wichtiger Arbeitgeber: Der Anteil des Umsatzes der Branche am Gesamtumsatz des verarbeitenden Gewerbes liegt fast doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Die Erzeugung, Verarbeitung und Veredelung landwirtschaftlicher Produkte sowie Aktivitäten in Forschung und Innovation haben im Norden einen traditionell hohen Stellenwert. Zugleich ist das Ernährungsgewerbe wichtiger Partner anderer Wirtschaftsbereiche, etwa des Maschinenbaus, der Verpackungsmittelhersteller, der Logistikbranche und des Dienstleistungssektors, sowie der Gesundheitswirtschaft, der Tourismusbranche und des Handels. Zur Sicherung und Entwicklung dieses wichtigen Sektors fordert die IHK Nord die neue Bundesregierung auf:
  • Wirtschaftliche Rahmenbedingungen der Ernährungswirtschaft verbessern
    Unternehmen der Ernährungswirtschaft kämpfen heute mit anhaltend schwierigen Marktbedingungen zwischen volatilen Rohstoffpreisen und großer Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels. Zudem wird die Branche von einer Vielzahl rechtlicher und bürokratischer Hürden begleitet, was Innovationen erschwert. So müssen Kontrollen des Tier-, Verbraucher-, Umwelt- und Rechtsschutzes überprüft, vereinfacht und aufeinander abgestimmt werden. In diesem Zusammenhang sollen auch im EU-Kontext die Kontrollmechanismen standardisiert und vereinfacht werden. Die Bundesregierung sollte zudem die Initiative für einen Trilog zwischen Politik, Verbraucherschutzgruppen/Öffentlichkeit und Ernährungsbranche mit dem Ziel ergreifen, gegenseitig Verständnis zu wecken, die Branchenakzeptanz zu steigern und Verbraucherschutzinteressen mit den Anforderungen des Wettbewerbs zu vereinbaren.
  • Nationale Nutztierstrategie“ – EU-weit einheitliche Rahmenbedingungen schaffen
    Die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vorgestellte „Nationale Nutztierstrategie“ für eine zukunftsfähige Tierhaltung in Deutschland ist grundsätzlich zu begrüßen. Hierbei darf allerdings die ökonomische Tragfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe sowie der nachgelagerten Verarbeitung und Veredlung nicht außer Acht gelassen werden. Überzogene Forderungen an die Tierhaltung und die Verarbeitung gefährden die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Branche in Deutschland ebenso wie einseitige Veränderungen des Baurechtes und des Immissionsschutzrechtes. Nötig ist eine europäische Strategie, kein nationaler Alleingang. Denn Landwirte, Produzenten, Händler und Verbraucher haben erst mit vergleichbaren Rahmenbedingungen auf allen Ebenen faire Wettbewerbsbedingungen (‚level playing field‘).

Forderungen unserer Mitglieder


Kammer Zu den Forderungen und Aktivitäten
Handelskammer Bremen - IHK für Bremen und Bremerhaven
Handelskammer Hamburg
Industrie- und Handelskammer zu Rostock
Industrie- und Handelskammer zu Schwerin
Industrie- und Handelskammer für Ostfriesland und Papenburg
Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg
Oldenburgische Industrie- und Handelskammer
Industrie- und Handelskammer Stade für den Elbe-Weser-Raum
Industrie- und Handelskammer zu Flensburg

Bewertung des Koalitionsvertrages vom 7. Februar 2018

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD bildet die Grundlage für das wirtschaftspolitische Handeln der Bundesregierung in der laufenden Legislaturperiode. Hierzu hat der DIHK eine grundsätzliche Bewertung vorgenommen, die wir uns zu Eigen machen. Zusätzlich zu dieser gesamtdeutschen Betrachtung bewerten wir die im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen aus der Perspektive des Wirtschaftsstandortes Norddeutschland. Hierzu nehmen wir einen Abgleich mit den zentralen Forderungen aus den Tätigkeitsschwerpunkten der IHK Nord vor, für die sich die IHK Nord im Vorfeld der Bundestagswahl und während der Koalitionsverhandlungen besonders stark gemacht hat. Insgesamt finden sich viele Forderungen der IHK Nord im neuen KoaV wieder. An vielen Stellen formuliert der KoaV seine Vorhaben jedoch auch noch deutlich zu vage, z.B. beim Thema Ernährungswirtschaft oder bei der Sektorenkopplung im Strommarkt. Die Industrie mit ihren Wertschöpfungsketten wird als zentraler Kern für den deutschen Wirtschaftsstandort benannt. Hier soll besonders in Vernetzungs- und Digitalisierungsstrategien (Wirtschaft 4.0) investiert werden. Erfreulicherweise fällt die Bilanz für die norddeutschen Forderungen im Schwerpunkt maritime Wirtschaft besonders positiv aus.
Die vollständige Bewertung finden Sie hier (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 228 KB).

Bei Fragen sprechen Sie uns gern an.